Wie sieht heutige KI unsere reale Welt und warum?

Hans-Dieter Wehle
4 min readSep 9, 2020

Abstract

Im folgenden Artikel möchte ich die unterschiedlichen Sichtweisen auf eine real existierende und eine KI-betriebene Welt erörtern. Ein Schwerpunkt ist für mich der Zusammenhang zwischen KI-Technologie und der menschlichen Wahrnehmung von realen Ereignissen in unserer täglichen Umwelt. Der Artikel soll nicht als Gegenüberstellung von Menschen und Maschine verstanden werden, sondern eine Evaluierung der unterschiedlichen Fähigkeiten.

Künstliche Intelligenz und die Welt

Heutige KI-Lösungen zeichnen sich durch ein gutes Daten-Set bzw. Datenmodell und den passenden Algorithmen aus. Diese repräsentieren die Komplexität des Problems, je komplexer die Aufgabe desto mehr Variablen sind notwendig. Die verwendeten Daten sind stark beeinflusst durch die Selektion des Betrachters, bedeutet der Mensch hat nur ein begrenztes Bewusstsein für die objektive Realität und dadurch wird entsprechend die KI Lösung, die Realität bzw. die Welt immer nur aus ‘dritter’ Hand sehen können.

Unser Gehirn mit seiner beschränkten Sinneswahrnehmung kann nicht erfassen, sondern nur bedürfnisgerecht modellieren als eine Welt aus zweiter Hand. Wenn wir nun versuchen diese Teile zu reproduzieren, dann tun wir dies in Bits, Bytes oder zukünftig in QBits (Quantencomputing) um eine sehr menschliche Welt aus dritter Hand abzubilden. Damit sieht die KI die Welt genau, so wie wir sie uns wünschen. Sie ist übersichtlich angeordnet, wohldurchdacht, mathematisch beschreibbar, effizient und auf ihre Weise optimal.

Die spannende Aufgabe wird sein, uns dabei nicht uns selbst zu viel verwirren zu lassen und aller drei Welten durcheinanderzubringen. KI macht die Welt messbar, auf Basis unserer Vorgaben. Perfekte Ordnung, absolute Klarheit und transparente Eindeutigkeit sind nur in der Welt der dritten Hand zu haben. Die geordnete Welt des Computers ändert nichts an der Unübersichtlichkeit der realen Welt. Völlig geordnete Welten aus Menschenhand sind weniger komplex als natürliche vorgefundene. Ihre Struktur ist übersichtlicher, ihr Kontext überschaubar. Die Welt der KI nimmt nur wahr, was sie wahrnehmen soll, sie ist nicht in der Lage Widersprüche auszuhalten und manches als Unentscheidbar zu lassen.

Wie langweilig wäre ein Leben mit ausnahmsloser Berechenbarkeit?

Wenn wir mehr und mehr KI einsetzen, so verschwindet nach und nach vieles aus der Welt, was für Menschen einen langfristigen Wert haben. Das Leben baut auch durch den Einsatz künstlicher Intelligenz in unserem Lebensalltag nichts völlig Neues auf, sondern maximal werden andere ‚Steine‘ verwendet. Unser Erinnerungsvermögen wird teilweise ausgelagert werden und wir würden es dann natürlich nicht mehr trainieren. Dies würde bedeuten, wir könnten die Gegenwart nicht mehr mit der Erfahrung aus der Vergangenheit interpretieren. Unsere tagtäglich erlebte Welt verliert an Reichtum und gewinnt nur an Geschwindigkeit durch die allzeit technische Verfügbarkeit von Künstlicher Intelligenz.

Werden wir zukünftig überhaupt noch den ungeheuren Bedeutungsreichtum der Welt erkennen?

KI zeigt uns, was Algorithmen können, aber ebenso, was sie nicht und möglicherweise niemals können. Und sie zeigt uns, dass wir um einer guten Zukunft Willen, angemessen mit unseren technischen Errungenschaften umgehen müssen. Wir haben die Aufgabe, Algorithmen der KI behutsam in unsere Umwelt einzubetten, damit sie uns tatsächlich helfen können.

Der von Managern und Politikern immerfort wiederholte Satz „Im Mittelpunkt muss der Mensch stehen“, erfordert eine Revolution des Denkens. Dies bedeutet somit sollte nicht die Technik, der Umsatz, die Gewinne, das Machtstreben oder schlicht das „Mehr“ im Mittelpunkt stehen.

Wer sind die Treiber hin zu mehr Künstlicher Intelligenz?

Würde eine Superintelligenz Donald Trump, Jair Bolsonaro, Wladimir Putin oder Recep Erdogan umstimmen? Würde eine Superintelligenz der Menschheit raten, das Streben nach mehr „Mehr“ zu überwinden? Wer würde sich über den guten Rat freuen?

Das Ziel nahezu aller künstlichen Intelligenz ist es mehr Kontrolle zu gewinnen und somit mehr Gewinne zu erwirtschaften, egal in welcher Disziplin (Medizin, Produktion etc.). Die Dynamik in der KI hat natürlich auch was mit der industriellen Revolution als auch dem Kapitalismus zu tun. In Westeuropa leben wir in Feudalstaaten, die über die Jahrzehnte sich schnell an veränderte Märkte angepasst haben. In Deutschland entstand das enorm erfolgreiche System der Sozialen Marktwirtschaft, wo der Staat die Lenkung über freie Märkte und soziale Absicherung übernimmt. Die Rationalisierung automatisierte die Produktion und gehorchten dem Prinzip des Lean Managements, der möglichst „schlanken“, effektiven und vor allem kostengünstigen Produktion. Dabei hat die Technik nie den ganzen Menschen automatisiert, sondern arbeitsteilige Prozesse. Mit dem gewaltigen Aufschwung der Werbeindustrie wurde die Bedarfsweckungsökonomie geboren. Arbeitsplätze wurde in andere Länder verlagert. Die allgegenwärtige Fokussierung auf Konsum befriedete die Gesellschaft. Aus Bürgern wurden Konsumenten und jetzt Internet User. Ein weiterer logischer Schritt in der Entwicklung war die Etablierung der zweifelhaften Finanzindustrie. Der immense Aufschwung der Finanzindustrie war ohne KI-Systeme und zunehmend selbstlernender Programme nicht denkbar.

Auf all diese Änderungen und Komplexität ist die Digitalisierung die Antwort der modernen Welt. Je unübersichtlicher die Welt, umso wichtiger sind intelligente Lösungen, so gesehen ist der Siegeszug von Digitalisierung nur die logische Folge. Sie ermöglicht eine gesteigerte Effizienz in einer enorm komplexen globalisierten Welt.

Die digitale Welt brachte uns eine weitere Beschleunigung unseres Lebens, globale Kommunikation, wirtschaftliche Effizienz und ein Plattformkapitalismus durch z.B. Amazon, Facebook, Microsoft, Apple usw. Diese Veränderung bedeutet auch eine Änderung der Ökonomie Spielregeln, sodass heute kaum mehr von freien Märkten die Rede sein kann. Wenige Firmen beherrschen den Markt bzw. sie sind selbst der Markt. Diese Revolution befeuert die Entwicklung von KI-Lösungen und allen Kontinenten parallel. Der Staat wird in diesem Bereich immer bedeutungsloser, die Wirtschaft wird durch privates Investment gesteuert und durch subtile Methoden wie Rating oder Trackings.

Resümee

Ob KI-Technologie unser Leben begleitet oder ob sie gestaltet, ist nicht das Gleiche. KI-betriebene Technologien werden zukünftig „eigenständig“ handeln, dabei dringt sie in unsere Intimität vor, mit bisher ungeahnten Möglichkeiten.

Doch wie auch immer sich die Technik entwickelt, der Mensch bleibt der alleinige Gestalter seiner Lebenswelt und sein Auftraggeber. Auch wenn Menschen gerne andere Menschen zu Werkzeugen ihrer persönlichen Ziele machten, war diese Situation immer eine Übergangslösung, und nie zufriedenstellend. Also konkurrieren wir nicht mit KI, sondern befreien uns mit ihrer Hilfe von Routinetätigkeiten und gegenseitiger Instrumentalisierung. Was wir „besser können“, wird davon abhängen, wie wir uns selbst verstehen.

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Hans-Dieter Wehle

Chief Digitization Officer for IoT and Cloud Solutions, Senior Instructor @ DHBW Stuttgart (Horb). Founder and Co-Chair STZ Industrial Digitalisation